Farben sind Abenteuer im Kopf
Herausragende Rolle in der Kommunikation
Farben haben für die perfekte Kommunikation eine herausragende Rolle. Das ist jedem Gestalter, Designer und Kreativen klar. Auch, dass die Wahl des Farbtons eine Werbebotschaft unterstreichen oder schwächen kann, ist sowohl dem Auftraggeber wie auch dem umsetzenden Kreativen klar. Aber dennoch, so intensiv manchmal über die Farbwahl debattiert wird, so schnell einigt man sich auf einen Kompromiss. Dabei wird oft die erfolgstechnisch relevantere Sicht auf das Produkt übersehen, nämlich die des Kunden.
Aber alles der Reihe nach. Dass Farben auf unterschiedlichen Ebenen wirken, ist längst bekannt. Aufgrund von Intensität und gelernter Erfahrung über die typischen Verwendungen können wir den meisten Farben eine Signalwirkung zuordnen. Bei Warn-, Hinweis-, Gebots- und Verbotszeichen haben wir die farblichen Botschaften gelernt und wissen etwa, dass Rot für Stopp, Halt steht, während Gebotszeichen in Blau gehalten sind. Die zweite Ebene bedient die emotionale Kommunikation, indem jede Farbe Erinnerungen, Assoziationen und damit Gefühle auslösen kann. Die dritte Art der Farbwirkung ist die symbolische Aussage, die die meisten Farben haben.
Diese entsteht aus Schemata und Denkschablonen, in denen wir aufgrund unserer Kultur, Bildung und gesellschaftlichen, religiös geprägten Farberfahrungsmuster zu denken gelernt haben. So können wir den meisten Farben einen symbolischen Wert zuordnen. Auch wenn diese Denkmuster oft sehr gleich wirken, lässt sich über die richtige Wahl einer Farbe vortrefflich argumentieren und streiten. Und das aus gutem Grund. Kulturelle Unterschiede sind da ein leicht verständliches Beispiel: Während in Europa weiß positiv als Farbe der Reinheit und der Unschuld assoziiert wird, tragen trauernde Angehörige in China beim Begräbnis weiß, weil das in diesen Kulturkreisen als Farbe der Trauer und des Unglücks „aufgeladen“ ist.
Auch wenn der Farbton von Farben physikalisch messbar gleich sein kann, beeinflusst die Farbe auf vielen unterschiedlichen Ebenen die emotionale und unbewusste Wahrnehmung der Menschen – etwa bei Entscheidungen und Auswahlverfahren, aber auch im individuellen Empfinden und in der persönlichen Wahrnehmung. Hier einige Beispiele: Bereits in der barocken Scheinarchitektur hat man das Raumerlebnis durch die Farbgebung unterstützt. Bei Deckenfresken mit auf Wolken sitzenden Allegorien haben die Künstler jenen Elementen mit kühlen Farben mehr Distanz eingeräumt, als Elementen in warmen Farbtönen. So steuerten die Künstler, welche Elemente in den Fresken dem Betrachter näherkommen sollten und welche aufgrund der kühleren Farbgebung weiter in die Ferne rutschen sollten.
Psychologische und unterbewusste Wirkungen
Aus der Hirnforschung ist bekannt, dass der Mensch nur einen relativ kleinen Prozentsatz der täglichen Entscheidungen unterbewusst trifft. Auch Farben wirken unterbewusst, aber trotzdem lassen sie sich - wie auch bei ideellen Wertvorstellungen - in Wertesystemen verorten und z. B. den drei von Hans Georg Häusl in der Limbic Map© beschriebenen Grundmotiven Stimulanz, Dominanz und Balance zuordnen. Was überraschend erscheinen mag ist die Tatsache, dass Frauen tendenziell eine bessere Farbwahrnehmung haben als Männer. Aus der Hirnforschung und in zahlreichen Tests wurde nachgewiesen, dass jeder Mensch eine unterschiedliche Anzahl an lichtsensitiven Stäbchen bzw. farbsensitiven Zäpfchen hat – und damit auch physisch betrachtet individuell unterschiedliche Voraussetzungen für die Farbwahrnehmung. Geschlechterspezifisch gibt es zwischen Männern und Frauen ebenfalls noch deutliche Unterschiede, was die Wirkung der Farben betrifft: Beispielsweise haben Forschungen ergeben, dass bei Männern bei ein und derselben Farbe andere Gehirnregionen aktiviert werden. Warme Farbtöne wirken tendenziell auf Männer wärmer als auf Frauen.
Gleich ist für beide Geschlechter die Erkenntnis, dass Farben nicht nur rein visuell, sondern auch über andere Sinnesorgane – vor allem über unser größtes Sinnesorgan, die Haut – auf uns Menschen wirken. In kühl-bläulich ausgestatteten Räumen neigen wir eher dazu, zu frösteln und empfinden die Raumtemperatur im Vergleich zu in warmen Farbtönen ausgemalten Räumen um zwei bis drei Grad kühler. Infrarot wirkt direkt über die Haut. Farben helfen uns Menschen bei der Orientierung und Entscheidungssicherheit. Noch bevor wir ein Lebensmittel berühren oder gar in den Mund stecken, haben wir anhand der Farbe zu erkennen gelernt, welche Lebensmittel frisch, reif und süß schmecken. Graue und braune Farbtöne im Zusammenhang mit Lebensmitteln schrecken uns ab und signalisieren: „Achtung, schimmlig, verdorben und sehr wahrscheinlich nicht mehr genießbar!“
Die Wahl des Farbtons kann eine Botschaft schwächen oder stärken.
Farbe beeinflusst unsere sinnlichen Wahrnehmungen. In verschiedenen Tests wurde ein und derselbe Orangensaft farblich durch Beigabe von geschmacksneutraler Lebensmittelfarbe variiert. In Tests zu Erwartungen und Geschmack führte eine rötlichere Farbe zur höchsten Akzeptanz. Für die meisten der Testpersonen schmeckte der rötlich-orange Saft am besten, während der grünlich-gelbliche Saft als „zu sauer“ empfunden wurde. (Quelle: Fernández-Vázquez, R., Hewson, L., Fisk, I. et al.: Colour influences sensory perception and liking of orange juice. Flavour 3, 1 (2014) – https://rdcu.be/cnakD)
Ähnlich überraschende Erkenntnisse liefern Fallbeispiele und Testungen im Zusammenhang mit verschiedenen anderen Produkten. So hat man herausgefunden, dass Gewürzketchup als umso schärfer empfunden wird, je dunkler die Farbe ist und umso milder, je heller der Rotton ist. Dunkles Brot empfinden Menschen – unabhängig vom Geschmack – tendenziell als nahrhafter als helles. Und auch Kinder nehmen Fruchtsirup umso intensiver und süßer wahr, je gesättigter der Farbton des Sirups ist. Farben beeinflussen uns noch viel weiter. Ein höherer Farbkontrast zwischen Speise und Teller etwa führt dazu, dass man sich eine eher kleinere Portion auf den Teller nimmt.
Bei Verkostungen von Weinen wurde festgestellt, dass das geschmackliche Empfinden bei rotem, blauem oder grünem Umgebungslicht anders wahrgenommen und der Geschmack des Weines damit qualitativ unterschiedlich bewertet wird. Spannend erscheint, dass diese Unterschiede sogar zu einer deutlich höheren oder niedrigeren Preisbewertung des Weines geführt haben. Selbst Weinkenner sollen sich bei der Verkostung von rot gefärbtem Weißwein täuschen haben lassen und plötzlich für Rotwein typische Geschmacksnoten erschmeckt haben, die in einem Weißwein typischerweise gar nicht vorkommen. Die Liste an „überraschenden“ Phänomenen der Farbwirkung kann mit konkreten Beispielen von Produkttests und Erfahrungen bei Markteinführungen abgerundet werden. Das grüne Tomaten-Ketchup, das in Amerika zu einem Erfolg wurde, floppte beim ersten Versuch einer Markteinführung in Deutschland, da es den produktspezifischen Erwartungen des Zielmarktes widersprach. Eine bekannte Cola-Marke experimentierte zwecks Differenzierung vom Mitbewerb mit wasser-klarer Farbgebung ihres Getränkes: Bei Tests wurden aufgrund der ungewohnten, produktuntypischen Farbe die Geschmackserwartungen gründlich enttäuscht.
Was tun? Diese und weitere Beispiele zeigen deutlich, dass bereits geringfügige Änderungen in der Farbgebung von Produkt, Verpackung, Präsentationsumgebung etc. zu völlig unterschiedlichen Wahrnehmungen führen und damit einen ausschlaggebenden Einfluss auf Preis und Erfolg von Produkten haben. Vorgefertigte Meinungen und psychologische Profile von Farben geben bei der Vorauswahl Orientierung, sind aber kein Garant, die gewünschte Wirkung im jeweiligen Zielmarkt zu erreichen. Produkttests und die Einbeziehung von Zielpersonen in Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse werden wohl weiterhin ein erfolgsrelevantes Werkzeug für Produktverantwortliche und -designer bleiben.